Bedrängte und verfolgte Christen

Mehrere hundert nigerianische Christen, die in den letzten Monaten Terrorakten der radikal-islamischen Boko Haram zum Opfer fielen, Kopten, die in Kairo bei einer Demonstration getötet wurden, Übergriffe von Hindu-Extremisten auf Christen in Indien und immer wieder Einzelschicksale wie die Ermordung des pakistanischen christlichen Minderheitenministers Shabaz Bhatti - es bedurfte solcher dramatischen Nachrichten, um einer breiteren Öffentlichkeit bewußt zu machen, daß Christen in zahlreichen Ländern bedrängt oder sogar verfolgt werden.

Vor zwei Jahren hat der damalige Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, mehr öffentliche Aufmerksamkeit für verfolgte Christen gefordert und Politiker, aber auch Kirchenvertreter, zu mutigerer Verteidigung der Religionsfreiheit aufgerufen. Wird dieses Anliegen nun ein Thema über den engeren Kreis der Menschenrechtsaktivisten und freikirchlich Engagierten hinaus? Oder sind die Kirchen zu scheu und Politiker sowie Medien zu uninteressiert? Es braucht sicher einen langen Atem, um einer säkular gestimmten Öffentlichkeit die Not, unter der heute Millionen Christen leiden, nahe zu bringen. So etwas wie "Christenverfolgung" hält man in unseren Tagen für unwahrscheinlich. Doch diese Ansicht, die auch bei kirchenverbundenen Christen verbreitet ist, beruht auf schlichter Unkenntnis. Man kann und sollte sie korrigieren.

Von außerkirchlicher Seite informiert der "Internationale Bericht über Religionsfreiheit" des US-Außenministeriums jedes Jahr über die Benachteiligung und Verfolgung von Angehörigen jedweder Religion. Denn diskriminiert und bedroht werden auch Bahais, Amadis, muslimische Minderheiten und Falun Gong - am häufigsten jedoch Christen. Ähnlich umfassend berichtet die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte über solche Menschenrechtsverletzungen. Sie, und nicht eine Kirche, hat im Januar 2012 zu einem Lichtermarsch in Stuttgart gegen die Verfolgung von Christen aufgerufen und empfiehlt einen "Ökumenischen Tag der verfolgten Christen".

Was tun die Kirchen? Überkonfessionelle bzw. freikirchliche Initiativen unter­richten seit Jahren über die rechtliche Minderstellung von Christen aller Bekenntnisse, über den verheerenden Mißbrauch des Blasphemiegesetzes in Pakistan, das Verbot des Religionswechsels (in Afghanistan, Iran, Pakistan und Saudi-Arabien unter Todesstrafe), über Gewalttaten, deren straflose Duldung und den mangelnden polizeilichen Schutz vor ihnen. Sie geben Anregungen zu Petitionen und zur Unterstützung von Projekten durch Spenden - so etwa die "Hilfsaktion Märtyrerkirche", "Hoffnungszeichen", "Christian Solidarity International" und die Hilfsorganisation "Offene Grenzen".

Letztere schildert differenziert, wie sich die Lage der Christen in Problemländern entwickelt und erstellt jedes Jahr einen "Weltverfolgungsindex". In dieser traurigen Rangliste steht für das Jahr 2011 das kommunistische Nordkorea, wo vermutlich bis zu 70 000 Christen in Arbeitslagern gefangen sind, an der Spitze. Es folgen Afghanistan, Saudi-Arabien und auf Platz 15 Ägypten, wo 2011 mehr als 100 000 Kopten das Land verlassen haben, so daß - wie im Irak - eine Säuberung, eine Entchristlichung droht. China mit seinen schätzungsweise 80 Millionen Christen liegt auf Rang 21. Hier ist jede Evangelisierung außerhalb der registrierten "patriotischen" Kirchen verboten, und die Leiter der "illegalen" Hausgemeinden werden oftmals verhaftet und in Arbeitslager gesteckt.

Bemerkenswert ist das Konzept des "Arbeitskreises für Religionsfreiheit der Deutschen Evangelischen Allianz": Entsprechend der UN-Menschrechtserklärung tritt er für die "Freiheit, irgendeine oder gar keine Religion auszuüben" ein. Er ruft die Medien dazu auf, über die weltweite religiöse Verfolgung mit der gleichen Ernsthaftigkeit zu berichten wie über andere Menschenrechtsverletzungen, und veröffentlicht ein Jahrbuch zur Christenverfolgung. Die Kirchen sollen jedes Jahr in einem Sonntagsgottesdienst der verfolgten Mitchristen gedenken. Die Deutsche Bischofskonferenz empfiehlt inzwischen, den Stephanstag als Fürbitt-Tag für verfolgte Christen zu begehen, und veröffentlicht jährlich eine Broschüre zu einem Sorgenland. Die EKD nimmt das Anliegen seit 2010 in die Fürbitten des Sonntags Reminiscere auf.

Die beiden großen Kirchen verfügen - zumal in ihren Hilfswerken - über zuverlässige Informationen und äußern sich auch inoffiziell zur Lage der bedrängten Christen. Vielleicht könnten sie noch mehr bewirken, wenn sie ihre Mittel gebündelter, kontinuierlicher, öffentlichkeitswirksamer und mit einem gemeinsamen Gedenktag einsetzten? Wenn sie eindeutig für alle, auch für Nichtchristen, Religionsfreiheit fordern, müssen auch Areligiöse anerkennen, daß sie nicht nur kirchliche Interessen vertreten und keinem "Kampf der Zivilisationen" das Wort reden, sondern ein Menschenrecht einklagen. Sollten sich auch Muslime und andere Religionsangehörige dafür gewinnen lassen, könnte so etwas wie eine gemeinsame Lichterkette für Religionsfreiheit und Frieden in der Welt entstehen.

Und die Politik? Obwohl sich die Bundeskanzlerin und der Außenminister stärker für bedrängte Christen (und den Dalai Lama) einsetzen als die Vorgängerregierungen, besteht noch Sensibilisierungsbedarf. Es gilt, im Bundestag, in Gesprächen der Diplomaten in betroffenen Ländern und in den Menschenrechtsberichten der UN der Religionsfreiheit mehr Aufmerksamkeit zu widmen und Mängel öffentlich zu machen. Volker Kauder, Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, hat in der Sache in Ägypten vorgesprochen und mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, geredet. Seine Fraktion hat dazu einen Kongreß veranstaltet und versucht, auch andere Fraktionen für das Thema zu interessieren - und nicht zuletzt die in Deutschland lebenden Muslime, damit sie in ihren Herkunftsländern für Religionsfreiheit werben. Er hat recht: "Wir dürfen nicht nachlassen."

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