"Letzte Gespräche"?Warum Benedikt besser nicht auf Peter Seewald gehört hätte

Ich bleibe dabei: Das Buch sollte es eigentlich gar nicht geben! Und so war es ursprünglich ja auch gedacht: Peter Seewald führte diese Hintergrundgespräche mit Benedikt, dem ehemaligen Papst, wie er selbst schrieb und bei verschiedenen Gelegenheiten betonte, für eine Biografie Joseph Ratzingers - bis ihm einfiel, dass dessen Erläuterungen zum Rücktritt vom Februar 2013, zur Wahl vom April 2005, zu den Reaktionen auf die Wahl und den Rücktritt, zu seinem Nachfolger Papst Franziskus so ausgefallen sind, dass ihre vorzeitige Veröffentlichung, d. h. zu Lebzeiten Benedikts, Verleumdungen („die falsche Wahl“) und Verschwörungstheorien („zum Rücktritt gezwungen“) entgegenwirken könnten.

Dass ein Verlag daraus eine „Sensation“ macht, dass Seewald sein Buch bejubelt, das in zwölf Sprachen übersetzt werden soll, dass ein Privatsekretär, der den Zugang zum ehemaligen Papst steuert, dabei sekundiert - das liegt in der Logik der Sache. „Erstmals in der Geschichte des Christentums: Ein Papst zieht Bilanz seiner Amtszeit“ - so die Verlagswerbung. Das ist ja das eigentlich Problematische oder Skandalöse, und ich nenne es stil- und taktlos: Dass diese private Bilanz an die Öffentlichkeit gezerrt wird und Seewald dafür auch noch - darauf hatte Benedikt, der sich überreden ließ, bestanden - das Placet von Papst Franziskus einholte.

Private, gelenkte Geschichtsschreibung?

Wegen des Medien-Hypes um „Letzte Gespräche“ geht dieser kritische Punkt zur Zeit völlig unter und wird von vielen ausgeblendet, die meinen, einen alten, verdienten Mann, der ein beeindruckendes theologisches Lebenswerk hinterlässt, in schwierigster Lage auf Johannes Paul II. folgte und den historischen Schritt eines freiwilligen Rücktritts setzte, um jeden Preis, auch den des fairen Umgangs mit kritischen Rückfragen, verteidigen zu sollen.

Kritisch bleibt, ob es Seewald und Gänswein gefällt oder nicht: Eine Bilanz, eine Auswertung über das eigene Wirken (wie auch über das eigene Werk), überlässt man der Nachwelt, also Historikern und Biografen. Oder soll hier gezielt „Geschichtsschreibung“ betrieben und in weiterer Folge gelenkt werden?

Ich bleibe dabei: Das Buch sollte es eigentlich gar nicht geben! Peter Seewald lässt es auch an journalistischer Sorgfalt mangeln, enttäuscht oder wütend, weil er nicht von allen Seiten Beifall für sein Vorgehen erhält, für ein „journalistisches Buch“ , wie er sagt, das vor allem für einfache Gläubige geschrieben sei - die ja, man hört es mit, anders als Theologen und Journalisten sich nicht durch „sprungbereite Feindseligkeit“ (© Benedikt XVI.) auszeichnen. Erzbischof Georg Gänswein hat mein Interview im Deutschlandfunk1 zwar nur „überflogen“ hat, nennt es aber dennoch „ziemlich giftig“ .

Andere schrieben mir: Sie waren viel zu dezent und zurückhaltend! Und eine Flut von sehr aggressiven, untergriffigen E-Mails erreichte mich. Da wünschen mich Absender direkt auf den Mond oder in die Hölle, bescheinigen mir „pathologischen Hass auf Papst Benedikt“, fordern meine Entlassung aus dem Orden, wenn nicht gleich dessen Abschaffung (inklusive des „Jesuitenpapstes Franziskus“), den Rücktritt als Herausgeber und Chefredakteur der „Stimmen der Zeit“ - das ist wohl das, was man neudeutsch einen „Shitstorm“ nennt. „Kirchlichkeit“ scheinen manche ausschließlich für sich gepachtet zu haben. Das schmerzt durchaus, nach 31 Ordensjahren und mehr als 23 Jahren im priesterlichen Dienst.

Peter Seewald hat in einem Zeitungs-Interview am 15. September („Was ist das? Bosheit? Ignoranz?“) nachgelegt: „Für manche ist es dann eine Gelegenheit, einmal ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen. Batlogg behauptet, Benedikt würde seinen Nachfolger kritisieren. Das Gegenteil ist der Fall.“ Er reiht mich nun unter die „deutschen Großmeister des Papst-Bashings“ - ein Ritterschlag sozusagen. Nur: falsch zitiert, Berichtetem aufgesessen! Jeder kann nachhören oder nachlesen, dass ich es für problematisch finde, „den Nachfolger zu kommentieren“. Da steht einfach nicht „kritisieren“ - das steht nur in Agenturmeldungen, die über das Interview berichten.

Ein weiterer Vorwurf: „Der Herausgeber der ,Stimmen der Zeit‘ möchte den emeritierten Papst dann nicht nur mundtot machen, sondern ihm auch die weiße Soutane ausziehen und der Weltkirche vorschreiben, wo ein emeritierter Pontifex künftig zu wohnen habe.“ Wie viele andere zuvor, die nach der Bedeutung der Zeichensprache gefragt haben (zwei Männer in weißer Soutane), nach dem Wohnsitz (Kloster im Vatikan), nach der Anrede (Heiligkeit bzw. Santità), habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was nun nachgeschobene Erklärungen zu dem Vorgang einer freiwilligen Demission bringen, was sie bedeuten, welche Signale sie setzen. Das halte ich für legitim.

Interpretationsmonopol?

Ich gönne Benedikt XVI. nicht nur noch viele Jahre in geistiger Frische. Er kann reden und schreiben, was er will, er kann empfangen, wen er will - mein Punkt ist: Bitte nicht öffentlich, weil das alle Klischees eines Schattenpapstes, der er nicht ist (auch das habe ich im Interview gesagt), bedient. Und diese Öffentlichkeitswirkung ist einfach da, wenn man nicht die Augen vor der Realität verschließt.

Es ist eine Unterstellung, ich wolle Benedikt „mundtot“ machen. Ich erinnere lediglich an die von ihm selbst festgelegten Modalitäten des Rücktritts, die mit dieser Veröffentlichung einseitig korrigiert sind - ohne dass der Zurückgetretene, der nach Ansicht mancher Kanonisten, Theologen oder Bischöfe dem Stand der emeritierten Kurienkardinäle angehört, ein Amt innehat. Der ehemalige Papst ändert die von ihm selbst aufgestellten Regeln. Er unterläuft das von ihm festgelegte Abschiedsszenario. Mit dem 28. Februar 2013, 20 Uhr, war der Bischofsstuhl von Rom vakant.

Einen „Papst Benedikt“ gibt es seither nicht mehr. Benedikt wollte sich als „Mönch“ zurückziehen und für die Kirche beten. Er hat bisher allen Versuchen von Bischöfen, Kardinälen und anderen Personen, die meinten, er solle da oder dort intervenieren, auf Papst Franziskus einwirken, widerstanden - im Wissen darum, dass er genau dann zum „Schattenpapst“ gemacht worden wäre, der aus dem Off des Klösterchens im Vatikan in die laufenden Geschäfte und Vorgänge eingreift.

Dass Benedikt bayerische Chöre, Trachtenvereine, Abordnungen oder Freunde, Bekannte, Verleger usw. empfängt, stört mich überhaupt nicht - und es ist sein gutes Recht. Er soll und kann empfangen, wen er will. Aber er hatte für sich entschieden: nur mehr privat, nicht mehr öffentlich. Und was dabei gesprochen, ausgetauscht, analysiert wird, gehört nicht aus dem Privatraum in alle Welt hinein getragen - die teilweise nur darauf wartet, aus Benedikts Mund Kommentare zum Zeit- und Kirchengeschehen zu hören.

Ich bleibe dabei, trotz der heftigen Polemiken, der sinnentstellenden Zitierung und der Pauschalkritik von Seewald und Gänswein: Das Buch sollte es eigentlich gar nicht geben! Aus genau den genannten Gründen! Benedikt war schlecht beraten, sich noch einmal auf ein Interview einzulassen. Zugestanden: Er sagte, was er sagte, weil die Äußerungen in eine Biografie einfließen sollten und ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren. Dazu hat er sich überreden lassen - und er hat, aus meiner Sicht, die Wirkung einer solchen Veröffentlichung falsch eingeschätzt, er und diejenigen, die den Vorgang vehement verteidigen.

Ich habe „Letzte Gespräche“ aufmerksam gelesen, so aufmerksam, dass ich das Verlagslektorat auf einen belanglosen Druckfehler hinweisen konnte. Aber muss man allen, die dieses Buch nicht beklatschen, unterstellen, sie fänden es deswegen automatisch schlecht? Die damit bekannt gewordenen Details zur Wahl und zum Rücktritt, die positiven, anerkennenden Bemerkungen zu Papst Franziskus, eine Reihe von biografischen Informationen zur Lebensgeschichte, die es so vorher nicht gab, sind durchaus interessant. Ich habe auch gestaunt über die ehrliche Selbsteinschätzung von Benedikt, sowohl was seine Menschenkenntnis als auch was Fehleinschätzungen während seines Pontifikats angeht - allein, ich glaube, nach dem von ihm bestimmten Rücktrittsszenario dürften solche Informationen nicht zu Lebzeiten an die Öffentlichkeit gelangen.

Außer man will steuern, lenken, wie über eine öffentliche Person, die Joseph Ratzinger als Professor, Erzbischof, Kurienkardinal und Papst zweifellos war, gedacht und geschrieben wird. Und das genau ist ja in der Pressekonferenz am 12. September im Literaturhaus in München geschehen: Das Buch gebe, so Seewald, die Möglichkeit, „noch einmal auf eine Jahrhundertbiografie zu schauen, eine deutsche Jahrhundertbiografie, wie es sie nicht mehr geben wird“.

Die Begründung muss doch aufhorchen lassen: „Und von so jemand dann noch mal authentisch Antwort zu bekommen, in einer letzten Wanderung durch sein Leben, ist natürlich ein ganz großes Geschenk … für die Geschichtsschreibung, ja, und es ist vor allem ein Geschenk für die Menschen, die immer wieder konfrontiert werden mit einem Zerrbild von diesem Joseph Ratzinger, das der Wirklichkeit nicht standhält. Hier muss man mit Büchern arbeiten, um möglichst viele Menschen ganz ungefiltert einen Zugang zum Lebenswerk und auch zur Person Joseph Ratzingers geben zu können. Und das ist das große Verdienst dieses Buches …, wobei es zudem auch mit vielen Verschwörungsgeschichten aufräumt …, die sich gerade um den Rücktritt reimen … Ich bin froh, dass man diese Dinge klarstellen konnte.“

Beansprucht Seewald damit für sich nicht indirekt ein Ratzinger-Interpretationsmonopol? Er sagt: Er will in Schutz nehmen, er will Zerrbildern entgegenwirken, er will Joseph Ratzinger selbst das Wort geben … Leben und Werk Joseph Ratzingers, auch das von April 2005 bis Februar 2013, liegen gedruckt vor - braucht es da weitere Kommentare, Klarstellungen, Ergänzungen, die auf Darstellungen und Kritik direkt oder indirekt reagieren? Ist Benedikt derart unsicher, dass er meint, sein eigenes Bild malen zu müssen oder malen zu lassen?

Schon in seinem eigenen Buch „Aus meinem Leben“ (1997) bestimmte Joseph Ratzinger, woran er sich erinnert und woran nicht2. Und er steuert indirekt auch seine wissenschaftliche Rezeption: Im Verlag Herder erscheinen seit 2008 die „Gesammelten Schriften“ (also nicht: Sämtliche Schriften) Joseph Ratzingers, sechzehn Bände sollen es werden, zehn sind erschienen, drei Mal mit einem eigenen Vorwort des Papstes, ein weiteres Mal, nach seinem Rücktritt, unterschrieben mit „Benedikt XVI.“

Benedikt und Seewald kennen sich. Dem Journalisten traut der ehemalige Papst. Ihm stand er drei Mal bisher für längere Gespräche zur Verfügung: als Kurienkardinal in der Villa Cavalletti, einem ehemaligen Jesuitenkolleg in der Nähe von Frascati für den Bestseller „Salz der Erde“ (1996) - jeder kann nachlesen, wie begeistert ich als Theologiestudent davon war3 - und in der Abgeschiedenheit von Monte Cassino für „Gott und die Welt“ (2000). Beide Interviews sind scharfsinnige, ja fulminante Analysen über Glaube und Christsein an der Jahrtausendwende. Souveräner allerdings und zurückhaltender im Tonfall als seinerzeit die schonungslose Abrechnung „Zur Lage des Glaubens“ (1985) im Vorfeld der Debatten der Außerordentliche Bischofssynode zum 20. Jahrestag des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils, das Brixener Urlaubsgespräch mit Vittorio Messori, mit dem es „der privaten Sicht eines Mannes in höchster kirchlicher Positionen (gelang), mit einer Publizität sondergleichen zum monopolartigen Referenzpunkt dieser selben Diskussion zu werden.“4 Im Juli 2010 schließlich begegneten sich Benedikt XVI. und Seewald in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo: Sechs Tage lang durfte der Journalist den Papst jeweils eine Stunde befragen. Daraus wurde das Buch „Licht der Welt - Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit“.

So entsteht Vertrautheit, die nicht in Vertraulichkeit ausarten muss. Sie hat ihre Spuren hinterlassen, über die man sich nur freuen kann. Denn der aus Passau stammende ehemalige Oberministrant Peter Seewald, in den 1970er-Jahren aus der Kirche ausgetreten, wie er freimütig im Vorwort von „Salz der Erde“ schreibt, zum Marxisten konvertiert, für den Spiegel, Stern und das Magazin der Süddeutschen Zeitung tätig, jetzt freier Autor, ist unter dem Eindruck dieser Begegnungen mit Joseph Ratzinger wieder in die Kirche eingetreten.

Noch einmal: Zwei Päpste?

„Die nachfolgenden Interviews“, lässt Seewald die Leser von „Letzte Gespräche“ wissen,„wurden kurz vor und nach Benedikts Rücktritt als Hintergrundgespräch für die Arbeit an einer Biografie geführt … Der Text wurde vom emeritierten Papst gelesen und für diese Ausgabe freigegeben.“ Er betont auch, Papst Franziskus habe der Veröffentlichung „ohne Wenn und Aber“ zugestimmt.

Manches muss sich sicher noch einspielen. Aber die unsägliche, sehr problematische Unterscheidung des Präfekten des Päpstlichen Hauses, die von Papst Franziskus sanft, aber bestimmt korrigiert wurde - es gebe in der jetzigen Situation einen „aktiven“ und einen „kontemplativen“ Papst -, zeigt, wie delikat die Situation nach wie vor ist. Genau deswegen ist alles zu vermeiden, was den Eindruck erweckt, es gebe nach wie vor „zwei Päpste“ - virtuell war Benedikt in der Pressekonferenz in München anwesend, und es wurde und wird völlig unterschiedslos vom „Papst“ und vom „päpstlichen Terminkalender“ gesprochen. Gemeint ist dabei Benedikt.

Ich zolle ihm allerhöchste Anerkennung für den historischen Entschluss, freiwillig auf sein Amt zu verzichten, dem er sich nicht mehr gewachsen fühlte. Und dieser Entschluss ist nicht, wie Seewald anderen unterstellt, die einzige Großtat dieses achtjährigen Pontifikats. Der Schritt war mutig und weise. Benedikt hat damit, wie Papst Franziskus sagte, „die Tür geöffnet für emeritierte Päpste“. Und das gilt es jetzt, erst recht nach „Letzte Gespräche“, zu regeln, bis in Details hinein, denn zwei oder drei oder mehr ehemalige Päpste sind ja durchaus denkbar.

Ganz offensichtlich hat sich der 89-Jährige gesundheitlich wieder „derrappelt“, wie er gut bayerisch zitiert wird. Dass er auf sein Leben zurückschaut, auf die Jahre als Papst, ist völlig normal. Benedikt hat über die Motive seines Rücktritts gesprochen. Er hat seine Amtszeit evaluiert („etwas überfordert“, „Als Gescheiterten kann ich mich nicht sehen“, „eine riesige Propganadaschlacht gegen mich“) .Und einzelne Entscheidungen verteidigt, etwa die Wiederzulassung der Tridentinischen Messe („Es sind zwei Weisen, sie rituell darzustellen, die aber einem Grundritus zugehören“) .Er hat personelle und inhaltliche Fehleinschätzungen eingeräumt. Sehr ehrlich und offen. Er hat aber auch seinen Nachfolger („ein Mann der praktischen Reform“) kommentiert (52-59, 221, 266). Täte das ein ehemaliger US-amerikanischer Präsident über seinen Nachfolger?

Es gibt biografische Details, die mit neuen Nuancen angereichert wurden (65-205). Müssen wir wissen, dass der junge Joseph Ratzinger unglücklich verliebt war? Kann Persönliches nicht einer Biografie, muss der Pontifikat nicht den Historikern überlassen bleiben?

Joseph Ratzinger und die deutsche Kirche

Und außerdem: Benedikt ist über die deutsche Kirche hergezogen. In einer sehr rüden Art. Es sind dieselben Feindbilder, die er seit der Würzburger Synode (1971/75) bemüht: „In Deutschland haben wir diesen etablierten und hochbezahlten Katholizismus“, „Gewerkschaftsmentalität“, „Überhang an ungeistlicher Bürokratie“: Wirft das ein „weiser Großvater“ (Franziskus über Benedikt) seinen Bischofskollegen in Deutschland vor, über den Weg eines Interviews? Benedikt bleibt sich damit treu: „Aber bestimmte Leute in Deutschland haben immer schon versucht, mich abzuschießen.“

Die Vorwürfe sind bekannt. Und Seewald hat auch gleich, wie andere, Nachhilfe gegeben: Man habe die Freiburger Entweltlichungs-Rede von Papst Benedikt XVI. vom September 2011 nicht verstanden; wenn Papst Franziskus in „Evangelii gaudium“ dasselbe (aber nicht nur im Blick auf Deutschland) sage, werde gejubelt, Benedikt hingegen erfahre nur Häme. Werden da alte Rechnungen beglichen? Suchen oder brauchen diejenigen Unterstützung, die jetzt gegen eine „Lehmann-Marx-Kasper-Kirche“ wettern und dafür, für den „Niedergang der deutschen Kirche“ Benedikt als Kronzeugen brauchen bzw. missbrauchen? Es ist traurig, dass Benedikt sie jetzt (so) wiederholt - so berechtigt diese Kritik teilweise ist, und ich sage das als Österreicher und Ordensmann, der nicht vom deutschen Kirchensteuersystem profitiert!

„Letzte Gespräche“ eines ehemaligen Papstes bedienen Klischees vom Schatten- oder Gegenpapst - und voyeuristische Neugier. Ob es „die Debattenkultur in der katholischen Kirche stärken“ kann, wie ich im Deutschlandfunk gefragt wurde, bezweifle ich vor dem Hintergrund der Heftigkeit mancher Kommentare, die Sprachverrohung und Gehässigkeit verraten. Was heißt da Streitkultur?

Ich habe mir vor dem Interview den historischen Helikopterflug aus dem Vatikan vom 28. Februar 2013 noch einmal in voller Länge angeschaut - ein zu Tränen rührender Moment, historisch zweifellos, denn da hat ein Papst einem Nachfolger freiwillig das Feld überlassen - um es jetzt über die publizistische Hintertür doch wieder zu betreten. Halb Autobiografie, halb „Vermächtnis“, ist „Letzte Gespräche“ vor allem eins: Apologie - in eigener Sache. Und genau deswegen müssen für die Zukunft das Rücktrittsszenario und die nachfolgenden Modalitäten besser geregelt werden.

„Getroffene Hunde bellen“ ,meinte Erzbischof Gänswein bei der Pressekonferenz. Schon ist die Drohkulisse aufgebaut: Da fallen böse Menschen über einen arglosen, liebenswürdigen alten Mann her! Also: Majestätsbeleidigung des „Mozarts der Theologie“. Stoff für den anwesenden Joseph Vilsmaier, der die entstehende Ratzinger-Biografie von Peter Seewald verfilmen will.

Der Hirte Benedikt hat sich mit diesem Buch letztlich selbst massiv geschadet. Dass er es nicht merkt, ist die eigentliche Tragik. Verdient hat Joseph Ratzinger falsche Freunde und Zuflüsterer nicht. Es wäre erfreulich, wenn diese heftige Kontroverse eines auslöst: dass die genannten offenen Punkte, die kirchenrechtlich, dogmatisch, theologisch durchaus bedenklich sind, angegangen werden - ein Hubert Wolf, der von Benedikt in hohem Alter zum Kardinal kreierte Walter Brandmüller und andere haben eine Reihe von Vorschlägen gemacht.

Bevor das alles nicht geklärt ist, bleibe ich dabei: Das Buch sollte es eigentlich gar nicht geben!

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